Aber die Geschichte von Jung von Matt NERD ist auch die Geschichte der Pop- und Nerdkultur der letzten Jahrzehnte – nischige Interessen wie Manga, Anime, Comicbücher und Videospiele, deren Liebhaber*innen sich mit der Zeit als deutlich zahlreicher erwiesen, als je angenommen wurde. Mittlerweile ist die Videospiel-Industrie der weltweit mit Abstand umsatzstärkste Sektor der Unterhaltungsindustrie, noch vor der Film-Industrie, deren erfolgreichste Marken heute bezeichnenderweise Nerd-Ikonen wie Batman, Superman, die Avengers und Spider-Man sind.

Bevor sie jedoch Millionen von Menschen weltweit an die Kino-Kassen lockten, waren diese Subkulturen die geheimen Leidenschaften von Nerds wie Toan. Der Gründer und Managing Director von Jung von Matt NERD hat seine Nerd-Wurzeln in der Popkultur der 80er- und 90er-Jahre: Das Miniatur-Strategiespiel Warhammer Fantasy Battles, Videospiele, Sammelkartenspiele und Anime.

„Als man mir 2019 gesagt hat: So Toan, es ist Zeit, deine eigene Firma zu gründen, wollte ich zuerst M&A machen“, sagt Toan im Interview. M&A steht für Mergers and Acquisitions, also die Übernahme einer Firma durch eine andere. Als sich abzeichnete, dass das nicht zur Wahl steht, orientierte Toan sich neu. „Mir ist damals aufgefallen, dass alles, was in den letzten Jahren irgendwie groß war – Herr der Ringe, Harry Potter, Game of Thrones und natürlich die Avengers – irgendwas mit Nerd-Kram, Drachen, Raumschiffen oder Magie zu tun hat.“ Daraufhin hat Toan mit einer Marktforschungsstudie herausfinden wollen, wie es denn genau um den Markt für Nerd-Themen steht – mit überraschenden Ergebnissen.

„Diese Subkultur ist viel, viel größer als das, was sonst so im Mainstream passiert. Nur ein Beispiel: Der Fußball-Markt ist etwa 55 Milliarden Euro wert. Aber der Markt für all die verschiedenen Nerd-Themen ist zusammen 250 Milliarden Dollar wert.

In der Agenturwelt wollen alle immer Real Madrid oder Messi, aber für diese riesige Nerd-Welt gab es noch keine Agentur. Da habe ich mir gesagt, dann gründe ich diese Agentur eben selbst.“  

Den Grund für das rasante – und bis vor Kurzem scheinbar unsichtbare – Wachstum der Nerd-Themen bis zum globalen Mainstream kann Toan sich leicht erschließen, weil er ihn selbst lebt: „Das sind all die Leute, die als Kinder mit Actionfiguren und später Videospiele gespielt haben, die Comics gelesen und Cartoons geguckt haben. Die dann etwas später als die anderen angefangen haben, auf Dates zu gehen, BWL studiert haben und die jetzt so langsam in gut bezahlten Jobs angekommen sind, mit denen sie sich ihre Hobbies finanzieren können“, erzählt der Vater zweier Töchter mit einem Augenzwinkern in der Stimme. 

Ähnlich wie die Subkultur, auf welche die Agentur abzielt, ist das Team von Jung von Matt NERD bis heute nur gewachsen: 18 Mitarbeiter*innen zählt Jung von Matt NERD heute, und es besteht, wie Toan erzählt, aus guten Gründen vor allem aus Generalist*innen. „Man kann keinen MBA in Nerdismus machen“, so Toan im Interview. Das Team von Jung von Matt NERD bringt für die Agentur mehr mit, als nur den individuellen Lebenslauf – ihre Leidenschaften und Hobbies, von Videospielen und Comicbüchern bis hin zu Blockchain, Metaverse und Coding.  

„Das unterscheidet uns von anderen Agenturen der Jung von Matt-Gruppe, die vor allem aus dem Angebot kommen – Jung von Matt Craft bietet Produktionen an, Jung von Matt Tech dagegen Techlösungen – wir kommen aus der Nachfrage, oder besser, aus der Stilgruppe.“ 

Stilgruppe ist ein Begriff, den Toan für Jung von Matt NERD an die Stelle des klassischen Werbe- und Marketing-Begriffs Zielgruppe setzt. Denn für die Arbeit seiner Agentur ist es wichtig, dem Publikum, an das sie sich wendet, auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Ästhetik, ihren Stil, zu verstehen. „Das ist das Paradoxe an uns“, erklärt Toan. „Wir sind als Agentur zum einen hochspezialisiert auf Science Fiction, Superhelden, Fantasy und so weiter, aber gleichzeitig müssen wir in diesem Feld auch Generalist*innen sein.“ 

Mit dieser Expertise hat das Team von Jung von Matt NERD die unterschiedlichsten Projekte umgesetzt: Von Super Mario-Haribos über eine Space-Jam-Modekollektion für die Sneakermarke Snipes und Pikachu-BMWs bewegt sich die Agentur fließend zwischen verschiedenen Fan-Communities, Marken und unterschiedlichen Dienstleistungs- und Produktkategorien. 

Es ist Vielseitigkeit, durch die Content für die Arbeit von Jung von Matt NERD einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt: „Zum einen braucht es natürlich klassische Werbemittel, um einen Wiedererkennungswert zu generieren und eine Marke aufzubauen“, sagt Toan. „Aber unsere Themen leben, mehr noch als vielleicht die Themen vieler anderer Agenturen, von Liebe, und die entsteht eben nur durch guten Content.“ 

Welche Bedeutung guter Content als Erfolgsfaktor für ein Unternehmen hat, weiß Toan aus eigener Erfahrung: „Wir arbeiten natürlich mit verschiedenen Formen von Content, aber einer der wichtigsten Wachstumsfaktoren für ein Unternehmen ist Content Marketing. 80 Prozent unseres Inbound-Geschäfts, also der Kunden, die sich bei uns melden, wird durch Content stimuliert. Wir haben ganz zu Anfang zum Beispiel die Marktforschungs-Studie, die ich in Auftrag gegeben habe, unter dem Titel „Wie nerdig ist Deutschland?“ in Kooperation mit dem SPIEGEL und Horizont veröffentlicht und dann immer wieder aktuell relevante Snippets darauf mit schönen Grafiken republiziert: Wie viel Prozent der Deutschen gucken Anime? Mit welchen Marvel-Charakteren würden die Deutschen am liebsten ein Bier trinken gehen?“  

Das vielleicht beste Beispiel für die Vorgehensweise von Jung von Matt NERD ist der Phoenix Program Fan Film der deutschen Produktionsfirma T7Production im Vorfeld der Veröffentlichung des Gaming-Blockbusters Cyberpunk 2077. Jung von Matt NERD hat dem Projekt Brand-Deals vermitteln können – und so ist aus einem Fanprojekt ein halbstündiger YouTube-Erfolg geworden. 

In keiner Community ist das Selbst-kreativ-Werden so ausgeprägt, wie im Gaming. Videospielplattformen wie Fortnite und Roblox schaffen regelmäßig Schlagzeilen mit großen Brand-Deals und innovativen Fan-Events, was Toan als den „heiligen Gral“ der Aktivierung von Fan-Communities für Marken beschreibt: „In Sachen Content ist natürlich, das muss ich hier mit Sicherheit niemandem erzählen, eine kohärente Strategie für Social Content extrem wichtig für Marken. Aber wir sind der Meinung, dass Gaming ein Faktor ist, den viele noch unterschätzen. Da gibt es zum einen gamifizierten Content für Marken innerhalb bestehender Ökosysteme oder aber – und das ist das, wo wir hinwollen, das ist Content at its best – ein ganz eigenes Videospiel.“ 

Der Stellenwert, den Technologien wie Videospiele, VR & AR mittlerweile für die Content-Branche auch jenseits von Gaming einnehmen, war noch vor zehn Jahren kaum vorhersehbar war – und entsprechend viel Wert legt Jung von Matt auf die Vorbereitung der Agentur auf technologische Neuerungen. Innerhalb der Agentur gibt es eine eigene Tech-Unit, die technologische Entwicklungen verfolgt, sie auf Auswirkungen auf den Markt prüft und die Kundschaft der agil berät – und natürlich ist Künstliche Intelligenz daher schon seit einer Weile ein Thema für Jung von Matt und Toan Nguyen – allerdings nicht top down per Anordung, wie Toan betont.

Vielmehr fördert Jung von Matt NERD das bestehende Interesse seiner Mitarbeiter*innen an Fortschrittstechnologien wie KI.
„KI ist die wichtigste technologische Entwicklung der Content-Branche der letzten 30 Jahre – vor allem für die Content-Branche, das kann man nicht genug betonen“, stellt Toan überzeugt fest. „KI wird nicht nur die Produktivität steigern, sondern vor allem auch dabei helfen, guten Content zu skalieren. Das beste Beispiel ist: Ich könnte jetzt einen deutschen Podcast aufnehmen und den von einer KI in 40 andere Sprachen übersetzen lassen – und zwar mit meiner Stimme, meiner Intonation, meinem Style.“ 

So dezentral und international Jung von Matt auch sein mag – Kund*innen und Büro-Standorte hat die Agenturgruppe auf der ganzen Welt, von Hamburg über Berlin bis nach London, Los Angeles, Peking, Shanghai und Seoul – so wichtig ist das Zuhause der Agenturgruppe in Hamburg paradoxerweise immer noch: „Es gibt hier GameCity, das Gaming Hotel in Bergedorf oder das Ding auf der Reeperbahn, wo man immer wieder Connections finden kann“, sagt Toan über das Hamburger Netzwerk.

„Einer der größten Gaming-Hardwarehersteller, Razer, hat seinen Europa-Standort in Hamburg und eines der erfolgreichsten europäischen E-Sports-Teams, mousesports, kommt hierher. Mit denen machen wir jetzt nicht tagtäglich Geschäfte, aber es ist immer gut, sich austauschen zu können und Zeit miteinander zu verbringen. Als originär deutsches Unternehmen ist Hamburg einer der besten Standorte, den man für Gaming und verwandte Themen haben kann.“